Die italienischen Wahlen 2013 und Europa: der Blick von Petra Reski, einer deutschen Journalistin, deren Wahlheimat Italien ist.

Die Wahlen in Italien stehen kurz bevor (24. und 25. Februar 2013) und werden einen sicheren Einfluss auf die Zukunft nicht nur unseres Landes sondern auch der Europäischer Gemeinschaft haben. Die deutsche Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski, bekannt für ihre Recherchen über die Mafia als internationale Erscheinung, erklärt uns ihre Sicht dessen, was auf dem Spiel steht.

Alt und das Neu stehen sich hier gegenüber : wer denkt an die zukünftigen Regierungskoalitionen und eine politische Kehrtwende – wer spielt das Kümmelblättchen und wer versucht zwischen all den Kontroversen die wesentlichen Themen zum Ausdruck bringen und fordert einen systemischen Neustart.

INTERVIEW

F.S. Frau Reski, die Politik der nächsten Regierung wird stark vom politischen und wirtschaftlichen Kontext Europas beeinflusst sein. Die Organe der EU, die EZB und die Kommission sowie die Bundesregierung, die eine « technische Regierung » von Mario Monti begünstigt haben, wünschen sich heute die Weiterführung der “Agenda Monti”. Wie beurteilen Sie diese Perspektive für Italien und für Europa insgesamt?

P.R. Diese Frage klingt, als sei “Europa” irgendeine fremde, kalte (möglicherweise deutsch sprechende) Macht, die das arme kleine Italien (oder auch Griechenland, Portugal etc.) auffressen möchte. Das ist eine etwas bizarre Vorstellung von der europäischen Gemeinschaft. Europa, das sind wir alle. Europa, das ist nicht nur Reisefreiheit, sondern auch ein Vertragswerk, auf das sich alle unterzeichnenden Staaten geeinigt haben. Und dazu gehört auch Italien. Ich hoffe für die nächste italienische Regierung, dass sie die überfälligen Reformen durchführt – nicht, weil es Europa will, sondern weil sie es ihren Bürgern schuldet. Denn für eine Jugendarbeitslosigkeit, die bei weit über 30 Prozent liegt, kann man nicht Europa verantwortlich machen, sondern die italienischen Regierungen der letzten zwanzig Jahre, mindestens.

Petra Reski. Copyright: Alessandra Schellnegger

In ihrer Verantwortung liegt auch die Staatsverschuldung, die inzwischen 1900 Milliarden Euro, 120 Prozent des Bruttosozialprodukts beträgt, und die Tatsache, dass die Mafia schätzungsweise doppelt so viel Umsatz macht wie Fiat, und dass Italien unter der “Flucht der Hirne” leidet – vier Millionen junge italienische Akademiker und Wissenschaftler sind ins Ausland geflüchtet. Denn wer von den jungen Italienern in Italien Arbeit findet, verdient selten mehr als 800 Euro – und selbst das nur vorübergehend. Von den üppigen Segnungen des italienischen Sozialstaats, vom strengen Kündigungsschutz und einer Arbeitslosenunterstützung von 80 Prozent des Lohns profitieren nur die Festangestellten. Wer drin ist, bleibt auch drin – dafür sorgt das rigide Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 15 Mitarbeitern schützt und aus dem Jahr 1970 stammt, einer Zeit, in der die “Globalisierung” noch ein anderes Wort für Weltreise war. Seither sind die
italienischen Gewerkschaften zu Besitzstandsbewahrern erstarrt. Jeder Versuch, das Arbeitsrecht zu reformieren, wird von ihnen im Keim erstickt, egal, ob der Versuch von links kommt oder von rechts. Das einzige, was sie sich abringen ließen, war Zeitverträge zuzulassen.

Das sind einige der Probleme, denen sich die nächste italienische Regierung stellen muss. Es sind hausgemachte Probleme – für die Europa nicht verantwortlich ist, die aber Italiens Wettbewerbsfähigkeit schwächen, nicht nur auf europäischer, sondern auch auf globaler Ebene. Bei den großen Parteien höre ich von diesen Themen allerdings nichts im Wahlkampf. Leider.

F.S. Es gibt harte Kritiken über Europa und seine Auflagen, auch in Bezug auf die Kanzlerin Angela Merkel. Gibt es Ihrer Meinung nach Alternativen, auch was die aktuellen Regelungen der Währungsunion betrifft und können die europäischen Auflagen durch politisches Handeln verändert werden oder sind die strengen Sparmaßnahmen und der Fiskalpakt unantastbar und unvermeidlich?

P.R. Selbstverständlich ist Kritik nötig und auch wünschenswert. Und ebenso selbstverständlich sollte über alternative Lösungen nachgedacht werden – und sofern ich richtig informiert bin, ist das auch bereits der Fall. Aber ich finde es etwas zu einfach, immer nur das europäische Gespenst und die hinterlistige Währungsgemeinschaft zu beschwören. Das klingt lediglich nach Wahlkampf.

F.S. Die kriminelle Verflechtung von Politik und Mafia wirft nochmals die Frage der Moral und das Thema der Legalität im italienischen öffentlichen Leben auf. Die Parteien stellen sich mit verschiedenen Linien zur Wahl auf. Die Linkskonservativen haben die Vorwahlen und die Parlamentswahlen für die Wahl des Spitzenkandidaten und des Parlamentskandidaten entwickelt, das Movimento Cinque Stelle hat die Onlinewahlen gefördert und Berlusconi scheint wie immer alleine zu entscheiden (und die Umfragen scheinen ihn darin zu bestätigen) etc. Wie steht es mit der Demokratie in Italien ihrer Meinung nach?

P.R. Die italienische Demokratie ist quicklebendig – sicher haben zwanzig Jahre Berlusconi ihre Spuren hinterlassen, aber es ist ein gutes Zeichen, dass die “Moralfrage” und das Thema der Legalität in diesem Wahlkampf überhaupt auftauchen – bei den letzten Wahlen 2008 ist das sowohl von den rechtspopulistischen Parteien wie auch vom linksdemokratischen Lager vermieden worden. Die einzige Partei, die sich des Themas “Legalität” annahm (mit geringem Erfolg, leider) war Italia dei Valori. Dass dieses Thema in diesem Wahlkampf einen großen Raum einnehmen konnte, ist den neuen Parteien und Bürgerbewegungen zu verdanken – allem voran dem Movimento 5 stelle. Ihm ist es auch zu verdanken, dass das demokratische Leben in Italien meiner Meinung nach extrem lebendig ist, was auch an der Kandidatur von Bürgerlisten wie “Rivoluzione civile” des ehemaligen Staatsanwalts Antonio Ingroia zu sehen ist. Das Movimento 5 stelle war es, das den vorbestraften Parlamentariern den Kampf angesagt hat: Wer in Italien heute dreißig ist, ist damit aufgewachsen, dass italienische Abgeordnete nicht nur die bestbezahltesten der Europäischen Union sind, sondern häufig auch noch vorbestraft. Und diesen jungen engagierten Italienern ist es zu verdanken, dass die sogenannte Moralfrage und die Frage der Legalität nicht lediglich eine Option sind- als ginge es mit Legalität, aber auch ohne, so wie es ihnen Tausende von Politikern und Beamte tagtäglich vorleben – sondern ein Grundstein der Gesellschaft.

F.S. In den Medien und in der italienischen Politszene hört man oft insbesondere in letzter Zeit von “Antipolitica” und Populismus. Einige meinen die Vorwahlen der linken Mitte seien die beste Antwort auf diese Antipolitik gewesen so der Titel des Leitartikels im Corriere della sera vom 26.11.12. Wie wird die “Antipolitica” und der Populismus im aktuellen politischen Panorama Italiens Ihrer Meinung nach ausgedrückt?

P.R. Mich erinnert der Gebrauch des Wortes “Antipolitica” immer an eine Rhetorik der Siebziger Jahre. Damals wurde jeder, der etwas sagte, was nicht in die linke Rhetorik passte, als “Faschisten” bezeichnet. Und heute macht sich, der die Linken möglicherweise von links kritisiert, der “Antipolitica” schuldig. Das ist, mit Verlaub, Quatsch. Die Italiener, die sich in den Bürgerlisten, Bürgerinitiativen oder Bürgerbewegungen engagieren, die nicht den herrschenden politischen Parteien zugeordnet werden können, betreiben nicht Antipolitik, sondern zeichnen sich durch höchstes politisches Engagement aus. Was den Populismus betrifft, so hat ihn vor allem Berlusconi und die mit ihm verbundenen Parteien in Italieni salonfähig gemacht. Der PDL ist keine rechte Partei, sondern eine rechtspopulistische. In dieser Hinsicht ist Italien ein Vorreiter in Europa. Es gibt viele andere rechtspopulistische Parteien in Europa, aber keine, die sich so lange regiert und an der Macht gehalten hat – auch dank Berlusconis Medienimperiums, das in Europa einzigartig ist. Und gegen das die Linksdemokraten es in den zwanzig Berlusconi-Jahren nicht schafften, ein Gesetz zu erlassen. Nicht mal, als sie selbst regierten. Komisch eigentlich.

F.S. Die traditionellen Medien haben großen Einfluss auf die italienischen Wahlen. In den letztenzwei Wochen hat eine Medienstudie in Pavia errechnet, dass Berlusconi 70 Stunden Nachrichtenpräsenz gegenüber den 28 Stunden von Bersani hatte. Und heute sehen die Umfragen den PDL und über die 18% der Stimmen hinaus den Wahlsieg nicht mehr unmöglich. Welches Gewicht haben Ihrer Meinung nach die Nachrichten auf die Orientierung der Politik und Wahlen in Italien? Gibt es in Deutschland oder in Europa ein vergleichbares Gewicht? Was denken Sie über das Verhältnis zwischen Macht und Medien?

P.R. In Deutschland wäre Berlusconis Medienmacht undenkbar. Das hat sicher mit der deutschen Vergangenheit zu tun, wo die Deutschen die Erfahrung machen mussten, wozu Propaganda führt. Man ist hier einer geballten Medienmacht gegenüber sehr misstrauisch. In Deutschland ist es auch nicht so, dass große Zeitungen oder Zeitschriften von Parteien oder Interessenverbänden (etwa dem Unternehmerverband) betrieben werden. Es gibt Verleger, die sehr wohl eine politische Ausrichtung haben, etwa rechtskonservativ wie der Verlag Springer oder linksliberal wie die Erbengemeinschaft, die die Süddeutsche Zeitung herausgibt – aber dennoch sind diese Verleger unabhängig. In Italien ist es aber glücklicherweise heute so, dass sich die jungen Italiener vorwiegend im Netz informieren, weniger Fernsehsendungen konsumieren – und die italienische Medienlandschaft immerhin um eine unabhängige Tageszeitung reicher geworden ist: “Il Fatto quotidiano”. Dies wird sich auch bei den Wahlen auswirken.

F.S. Als Expertin für das Thema Mafia und ihre Verzahnung möchten wir Sie fragen, in welchem Maße die illegale Wirtschaft zur Immision der Liquidität in wirtschaftlichen und somit politischen Kreisen in Italia beiträgt?

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P.R. Wenn man von den Schätzungen ausgeht, dass die Mafia einen jährlichen Umsatz von etwa 160 Millliarden Euro macht, kann man sich vorstellen, dass man mit solchen Summen einen großen politischen Einfluss hat – nicht nur auf Wählerstimmen. Der frühere italienische Notenbankchef und jetzige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, prangert schon seit Jahren die zunehmende Infiltration der Wirtschaft durch die Mafia (Wucherzinsen, Geldwäsche, Aufkauf von Unternehmen) und die Unwirksamkeit der italienischen Antimafiakontrollen an, einschließlich jener, die vom Gesetz über den Steuerschutzschild (“scudo fiscale”) vorgesehen sind. Die Mafia infiziert die Finanz- und Kreditkreisläufe, sie greift in den Wettbewerb und in die Entwicklung der Märkte ein, indem sie von Mitteln Gebrauch macht, die in der legalen Unternehmenswelt nicht zulässig sind, sie kurbelt die Schattenwirtschaft an und sorgt dafür, dass gewaltige Finanzmassen am Fiskus vorbeigeschleust werden. Schlimmer noch, die kriminelle Wirtschaft schafft Bereiche, in denen ein sozialer Konsens herrscht – eine Art Interessengemeinschaft, die in bestimmten Fällen die Grenze zwischen der Welt des Verbrechens und der Zivilgesellschaft verschwimmen lässt.Und das ist längst nicht mehr nur ein italienisches Problem, sondern ein europäisches?

F.S. Wie sehen Sie die öffentliche deutsche Meinung zu den nächsten Wahlen in Italien? Wie denken die Deutschen darüber und welche Erwartungen haben Sie?

P.R. Die Deutschen sind neugierig auf den Ausgang der Wahlen, aber ich glaube nicht, dass sie sovermessen sind, konkrete Erwartungen zu hegen. Als Journalistin kann ich nur sagen: Es wäre schön, demnächst über etwas anderes berichten zu können, als über Bunga-Bunga-Parties. Etwa über die große Zivilcourage vieler Italiener, über ihr Antimafia-Engagement – und über den Mut einzelner, gegen den Strom zu schwimmen. Davon können wir Deutschen eine Menge lernen.

Interview von Francesca Sensini für Altritaliani.net

Die Redaktion dankt Julia Sternberg für ihre Hilfe mit dem deutschen Text.

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Francesca Sensini
Francesca Irene Sensini è professoressa associata di Italianistica presso la Facoltà di Lingue e Letterature Straniere dell’Università Nice Sophia Antipolis, dottoressa di ricerca dell’Università Paris IV Sorbonne e dell’Università degli Studi di Genova. Comparatista di formazione, dedica le sue ricerche alle riletture e all’ermeneutica dell’antichità classica tra il XVIII e l’inizio del XX secolo in Italia e in Europa, nonché alle rappresentazioni letterarie e più generalmente culturali legate al genere.

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